4 Ursachen für die Bipolare Störung + 1 Brief an Angehörige + 1 wichtige Erkenntnis

Illustration zu Punkt No.4:

Ursache 1: Gene und Vererbung

In Zwillings-, Familien-, und Adoptionsstudien konnte gezeigt werden, dass bei Verwandten ersten Grades von Patienten mit Bipolaren Störungen solche Erkrankungen etwa sieben Mal häufiger auftreten.


• Wenn also ein Elternteil erkrankt ist, besteht bei den Nachkommen eine Wahrscheinlichkeit von ca. 10%, an derselben Störung zu erkranken. Sind beide Elternteile betroffen, liegt das Erkrankungsrisiko bei ca. 40 bis 50%.

 

• Leidet ein eineiiger Zwilling an einer Bipolaren Störung, so ist sein Zwilling mit einer ca. 60-prozentigen Wahrscheinlichkeit ebenfalls erkrankt.

Eine Bipolare Störung ist jedoch keine „Erbkrankheit“ im engen Sinne, die nach den Mendelschen Regeln vererbt wird. Viele verschiedene Gene, die wohl vor allem auf den Chromosomen 18, 4 und 21 liegen und die wichtig sind für Noradrenalin, Serotonin sowie für die Plastizität des Nervensystems, scheinen zu dem Störungsbild beizutragen. Veränderungen in diesen Genen liegen bei viele Menschen vor. Sind bei einer Person mehrere dieser Gene verändert, ist die Disposition für eine Bipolaren Störung wahrscheinlicher.

 

Ursache 2: Biologie und Chemie

• Im Gehirn von Patienten mit Bipolaren Störungen sind Veränderungen im Neurotransmitterhaushalt festgestellt worden. Unter Neurotransmittern versteht man chemische Botenstoffe, die an der Weiterleitung von Nervenimpulsen beteiligt sind. So findet sich bei depressiven Menschen eine Störung des Gleichgewichts verschiedener Transmitter bzw. ein Mangel an Noradrenalin und Serotonin.

 

• Bei depressiven Menschen ist die Empfindlichkeit und Dichte der Rezeptoren verändert, auf die die Neurotransmitter einwirken. Bei der Entstehung der Manie liegt eine erhöhte Konzentration der Neurotransmitter Dopamin und Noradrenalin vor.


• Unter anderem Jahreszeiten und Lichtmenge beeinflussen den Neurotransmitterhaushalt.

 

>>> Anmerkung / WICHTIGE ERKENNTNIS:

Die Erklärung des Leidens durch angeborene Faktoren birgt eine fatale Gefahr: das Gefühl der Ohnmacht gegenüber einem unüberwindbaren Damokles-Schwert, welches über einem schwebt. Die Schneide dieses Schwertes hat zwei Seiten.

 

Seite 1 fühlt sich zunächst erleichternd an: Niemand kann etwas dafür, es ist kein persönliches Versagen, man ist "berechtigt", immer wieder Mitgefühl, Hilfe, Geduld und Verständnis zu erhalten... Angst, Schmerz, Feigheit, Faulheit bzw. Schwächung empfinden die Diagnose als Erklärung und den bio-genetischen Hintergrund als Trost. Man kann "selbst nichts dafür (tun)".

Der Preis für diese vermeintliche Beruhigung ist hoch, denn Seite 2 ist die der OHNMACHT. Diese vermittelt dem Erkrankten das Gefühl eine Marionette zu sein, in letzter Konsequenz die Zügel nicht in den eigenen Händen zu halten. Das kann in der grausamen Konsequenz zu suizidalen Gedanken und Taten führen. Der Suizid lockt dann als Freiheit aus der Sackgasse heraus. Vermeintlich.

 

Meinem Leiden und dem Damokles-Schwert entkomme ich nur mit Mut. Dem Mut, hin und dem Grauen ins Auge zu sehen, im Feuer stehen zu bleiben, die Marionettenfäden zu kappen und die Zügel wieder aufzunehmen.

Eigenmacht und Selbstwirksamkeit schlagen die Ohnmacht.

Das ist möglich. Entweder ein- und letztmalig und ich bleibe fortan gesund oder eben immer wieder und wieder. Und wenn ich nicht aufgebe, wird meine Ausdauer letztlich belohnt. Mit immer längeren und stabileren gesunden und immer seltener und schwächer auftretenden Phasen.

 

Und dem Leben!

 

 

Ursache 3: Körper und Medikamente

Grundsätzlich kann jede körperliche Erkrankung zu psychiatrischen, d.h. auch zu manisch-depressiven Symptomen führen oder sie verursachen.

 

• Beispielsweise Veränderungen des Schilddrüsensystems zu Zuständen von Inaktivität und gedrückter Stimmung führen, aber auch zu gesteigerter Aktivität und Getriebenheit.

• Solche psychischen Veränderungen können auch bei Erkrankungen der anderen Hormonsysteme des Menschen auftreten, aber auch bei Bluthochdruck und anderen Herz- und Kreislauferkrankungen sowie vielen neurologischen Erkrankungen.

• Auch Medikamente wie das Cortison, Bluthochdruckmittel wie Beta-Blocker oder Antibiotika können manisch-depressive Zustandbilder auslösen.


Drogenkonsum und Alkohol verändern die affektive Gemütslage des Menschen und können zu großer Antriebssteigerung führen, aber auch den gegenteiligen Effekt haben. (Alkohol verändert das Gehirn auf die Dauer so, dass sich affektive Erkrankungen manifestieren können.)

- Schlafmangel und ein unregelmäßiger Tag-Nacht-Rhythmus können Krankheitsphasen auslösen. Auch bei Langstreckenflügen gilt Vorsicht.

- Das erstmalige Auftreten der Krankheit kann in jedem Alter geschehen. Die ersten Symptome treten jedoch meist zwischen 15 und 30 Jahren auf.

 

Ursache 4: Psychosoziale Faktoren

Traumata wie sexueller oder auch emotionaler Missbrauch, körperliche Misshandlung, fortgesetzte Vernachlässigung und andere belastende Lebensereignisse (sog. „life events“) wie frühe Scheidung der Eltern, Trauerfälle, frühe schwere körperliche Erkrankungen, Partnerschaftkonflikte, etc. aber auch erfreuliche Ereignisse wie Hochzeit, Umzug, Jobwechsel oder Schwangerschaft können bei einer vorbestehenden individuellen Disposition psychiatrische Erkrankungen wie die Bipolare Störung mitverursachen.

Persönlichkeit, Temperament und eine angeborene oder erworbene Verletzlichkeit (Vulnerabilität) können zusammen mit äußeren Faktoren wie Stress oder psychischen Belastungen (siehe oben) das Auftreten von Krankheitsepisoden begünstigen.

• Gerade bei „chronischen“ Krankheiten ist das Familiensystem* zu betrachten.

 

 


Gegensteuern bzw. vorbeugen?

• Psychoedukation, Psychotherapie, Selbstmanagement, Psychopharmakotherapie etc.


• Die Lebensführung ist sehr wichtig:

Wie gehe ich mit Stress um? Schlafe ich ausreichend? Wie steht es mit Bewegung und Ernährung? Achte ich auf genügend Erholung? Betäube ich mich oder schaue ich hin (Tagebuch, Meditation)?

 

• Entlarven und vermeiden von Stressoren

 

Diverse Links


 

* Weil das Familiensystem solch großen Einfluss auf Ausbruch und Verlauf der Krankheit hat und Briefe ein so effektives Tool sind, habe ich einen weiteren formuliert:

Ein (Muster-)Brief an Angehörige

 

Liebe/r Angehörige/r,


die Erkrankung deines Angehörigen spielt eine Rolle in deinem Leben.
Weißt du, dass auch umgekehrt Du eine Rolle in der Erkrankung deines Angehörigen spielst?



Auch wenn wissenschaftliche Forschungen vermuten lassen, das es genetische Hintergründe für die bipolare Erkrankung gibt, so sind doch die tatsächlichen Ursachen im Ganzen bis heute noch immer unklar. Falls etwas vererbt wird, so ist es lediglich eine Disposition. Wenn diese auf eine vulnerabile Persönlichkeit trifft und sich äußere und systemische Faktoren hinzu gesellen, kann diese Disposition zu Erkrankung führen. (Bemerkenswert in diesem Zusammenhang sind die modernen Erkenntnisse der Quantenphysik: Nichts ist wirklich fest und statisch. Dann kann auch keine Krankheit chronisch sein.)

Was heißt das für Dich, als Angehöriger?

Krass ausgedrückt: Du bist Teil der Krankheit oder auch der Gesundung deines Angehörigen.

Falls Du in direktem Eltern-Kind oder Geschwister Verhältnis zum Angehörigen stehst, umso mehr, denn dann gehörst Du außerdem zur Geschichte, die zum Ausbruch der Krankheit führte. Systemisch gesehen kann es sein, dass dein Angehöriger (in der Regel natürlich unbewusst) eine Rolle Angenommen oder etwas auf sich genommen hat, welche(s) ihn/sie krank werden ließ und darum durftest Du an dieser Stelle vergleichsweise gesund bleiben oder werden.

Prüfe, wie Du dem gegenüber stehst. Nur weil du die Krankheit deines Angehörigen nicht in deinem eigenen Körper hast, stehst du nicht über ihm/ihr. Es mag sich phasenweise vorübergehend so anfühlen, als gäbe es diese Gleichstellung nicht mehr, wenn Dein Angehöriger in einer akut kranken Phase sehr bedürftig wird. Egal, ob er dDich dann rührt, braucht, nervt, provoziert, anstrengt oder was auch immer – sei froh, dass Du nicht an seiner Stelle bist, denn das hätte auch geschehen können.

Das gilt übrigens für alle Krankheiten, nicht nur die bipolare Störung.

Wenn Deine Liebe groß ist, dann stehe Deinem Angehörigen in kranken Phasen bei, so gut du kannst und achte gleichzeitig darauf, stets auch gut für dich selbst zu sorgen. Niemand hat etwas davon, wenn du Dich und Dein Leben hinten anstellst oder gar aufgibst.

Wenn es zu anstrengend für Dich wird, ziehe Dich zurück. Es gibt andere Menschen und Profis, die deinem Angehörigen zur Seite stehen können, er/sie ist nicht allein.

Vergegenwärtige Dir, dass Du es in manchen Phasen nicht mit dem Menschen zu tun hast, den Du sonst kennst. Nimm Dir sein Verhalten also nicht zu Herzen und warte geduldig, bis der Mensch wieder er/sie selbst ist. Vielleicht hilft es, wenn Du Dir sagst, er/sie wäre gerade im Urlaub und hat nur seine Körperhülle (gefüllt mit einem manisch-depressiven Kobold) da gelassen...

In Eurer Aufarbeitung sind Vorwürfe und das Gefühl von Schuld unbedingt zu vermeiden. Solcherlei ist kontraproduktiv für Euch beide!

Wenn du deinem Angehörigen helfen möchtest, dann tu dies möglichst nüchtern und neutral. Wenn er/sie wieder stabil ist könnt ihr eventuell verworrene Fäden eurer Beziehung und seiner/Eurer Historie zu entwirren. Euer Miteinander ist wichtig. Bemüht euch um ehrliche, achtsame und wertschätzende Kommunikation und lasst einander sein, wie ihr seid.

Wenn eine bipolare Störung bereits einmal ausgebrochen ist, sind Stressoren unbedingt zu vermeiden, damit der Betroffene wieder in ausgeglichenen Bahnen selbstwirksam leben kann. Vieles kann ein Stressor sein. Genauso wie der Betroffene für seine Stabilität auf reichlich regelmäßigen Schlaf und ein ausgewogenes Leben mit gesunder Ernährung, Bewegung und Pausen achten muss, ist auch dafür zu sorgen, jeglichen emotionalen Stress möglichst gering zu halten. Prüfe und beherrsche Dich hier und achte darauf, die Krankheit deines Angehörigen nicht durch dein Verhalten noch zu befeuern!

Wenn dein Betroffener Angehöriger Distanz zu dir braucht, dann respektiere dies.

Schaue nicht nur auf ihn/sie, sondern vor allem auf dich.

Wisse und schätze immer, dass du Glück gehabt hast, dass dich diese Krankheit nicht selbst so heimgesucht hat, wie deinen Angehörigen. Ja, das ist Glück, nicht dein persönlicher Verdienst.

In gesunden Zeiten, könnt ihr eure Beziehung stärken und gemeinsam viele Gründe sammeln, das Leben zu lieben.

"Resilienz" heißt das Zauberwort, ihr beide könnt jeweils eure eigene aufbauen und ausbauen.

Alles Gute Euch allen,

und auch meiner Familie <3

Nathalie

 

PS:  HIER gibt es Weitere brauchbare Tipps für Angehörige.